Bildungspolitik und Lehrermangel

Wenn man über Ausfall von Unterricht in der Schule spricht, kommt als eine Antwort auch immer Lehrermangel. In den letzten Tagen wurde darüber berichtet, dass in Deutschland offiziell mehr als 14400 Lehrkräfte fehlen. Experten gehen sogar von noch höheren Zahlen aus. Mittlerweile ist der Lehrermangel an Deutschlands Schulen zum Wahlkampfthema bei der hessischen Landtagswahl geworden. Und jede Partei fordert im Prinzip dasselbe, um dem Lehrermangel zu begegnen. Man will mehr Lehrerstellen schaffen, mehr Geld in unsere Schulen und das Bildungssystem stecken, Quereinsteiger an die Schulen holen, die ungleiche Bezahlung der Lehrer in den einzelnen Schulzweigen beenden und noch einiges mehr. Besonders interessant ist dies, weil diese Ankündigungen von den Altparteien ausgesprochen werden, die seit Jahrzehnten bereits in den einzelnen Bundesländern die Kultusministerien inne haben. Und es ist vollkommen egal, ob wir nur nach Hessen schauen, oder auch in die anderen Bundesländer, überall wird von Lehrermangel berichtet. Und bei dieser Landtagswahl wollen uns die mitbewerbenden Altparteien weis machen, sie wüssten, wie man den Lehrermangel behebt und in den nächsten fünf Jahren bis zur nächsten Wahl für Besserung sorgt, wo ihnen das doch bis heute nicht geglückt ist. Deshalb rate ich Ihnen, glauben Sie nicht alles, was man Ihnen von dieser Seite erzählt. Ich werde hier nur einige Punkte dazu beleuchten können.  Schon seit Anfang der 2000er Jahre wird verstärkt des Öfteren über Lehrermangel diskutiert. Gesucht wurden Lehrkräfte aber auch schon davor. Auch die enorme Zuwanderung nach Deutschland in den letzten Jahren hat zu einem höheren Bedarf an Lehrkräften geführt.

Lehrermangel ist ein vielschichtiges Problem und oft ist er hausgemacht. Um dieses Problem wirksam bekämpfen zu können, muss man zunächst die Ursachen analysieren und da ist die Aussage „mehr Geld für unsere Schulen“ einfach zu kurz gegriffen. Kürzlich wurde in den Medien dazu berichtet, dass nur ca. 50% derjenigen, die das Lehrerstudium begonnen haben später auch in den Schulen als fertige Lehrer ankommen. D. h., dass die Hälfte im Studium, im Referendariat oder sogar noch in der Probezeit als mögliche Lehrer wegfällt. Aber warum? Liegt es nur daran, dass sie den Beruf des Lehrers falsch eingeschätzt haben? Auf jeden Fall wirkt es so, als wenn dieses System Schule einen hohen menschlichen Verschleiß hat. Alle Gründe werden wir womöglich nicht erfahren. Eine typische Lehrerkarriere lässt sich unter dem Motto zusammenfassen: „Von der Schule in die Schule“. Da geht man zunächst bis zum Abitur in die Schule. Nach dem erfolgreichen Erwerb der Hochschulreife kann man an einer Hochschule das Lehramtsstudium beginnen. Hat man dieses pädagogische Studium erfolgreich abgeschlossen, sucht man sich eine Schule für das zweijährige Referendariat. Das Referendariat wird mit einer Prüfung abgeschlossen (auch zweite Staatsprüfung genannt). Diese erfolgreich abgeschlossene Prüfung berechtigt nun, eine verbeamtete Lehrerstelle an einer öffentlichen staatlichen Schule anzutreten, wo man dann nach einer Probezeit nach drei Jahren durch einen Unterrichtsbesuch und einer positiven Würdigung des Schulleiters zum Landesbeamten auf Lebenszeit ernannt wird. Sind wir einmal ehrlich. Wenn der Lehrer nicht zufällig einmal ein Praktikum in einem Betrieb gemacht hat oder einen entsprechenden Ferienjob oder über einen anderen Lebenslauf mit einem Ausbildungsberuf in Kontakt getreten war, bevor er Lehrer wurde, hat er außer Schule und Hochschule in seinem Berufsleben nichts anderes gesehen. Soviel zum Hintergrund. Jetzt jedoch zu glauben, die Ausbildung zum Lehrer sei einfach, ist aber sicherlich falsch. Man muss schon einiges ertragen und über sich ergehen lassen, bis man diesen Beruf ausüben darf.

Ich erinnere mich noch an einen Bekannten, den ich nach Jahren wieder traf, und der das Berufsschullehramt mit Erfolg studiert hatte. Er erzählte mir, dass er die Prüfung am Ende des Referendariats zweimal nicht bestanden hat. Die Prüfungskommission hat also nach der ersten nicht bestandenen Prüfung ihm eine Verlängerung des Referendariats gewährt, aber nach der Wiederholungsprüfung, die von ihm nicht bestanden wurde, ihm gewissermaßen die Befähigung als Lehrer abgesprochen. Nach der Prüfung sei dann noch der Schulleiter auf ihn zu gekommen mit den sinngemäßen Worten: „ Sie machen das Schuljahr doch noch zu Ende?“. Sicherlich können Sie sich vorstellen, wie es dem armen Kerl jetzt erging. Er war nach dem abgeschlossenen Schuljahr arbeitslos, all die Jahre des Studiums und des Referendariats waren praktisch vergebens und wo in unserer Berufswelt sucht man denn Leute mit Lehramtsstudium außer im Schuldienst. Sicher, es wird so eine Möglichkeit eventuell geben, aber die Regel ist sie nicht. Besonders interessant fand ich an diesem Fall, dass der Bekannte, obwohl ein Gremium seine Nichteignung für den beamteten Schuldienst festgestellt hat, er doch weiter unterrichten sollte. Und in den Klassen, in denen er unterrichtet hat, müssen zum Schuljahresende ja auch noch die Noten für die Schüler gemacht werden. Darin hat die Schulleitung wohl auch kein Problem gesehen. Man hat den Eindruck, dass die Lehrerausbildung und der verbeamtete Einstieg in den Lehrerberuf eine gewisse Hürde darstellen. Andererseits ist man bereit, um Unterrichtsausfall zu vermeiden jede irgendwie geeignet erscheinende Person auf unsere Schüler loszulassen. Das Konzept in Hessen hierzu heißt Unterrichtsgarantie (plus).

Das Ausscheiden aus der Laufbahn des Schuldienstes beginnt mit dem Abbruch des Lehramtsstudiums, kann im Referendariat gewollt oder ungewollt stattfinden und ist auch noch in der Probezeit als verbeamtete Lehrkraft möglich. Erst danach sind Sie relativ „sicher“ Lehrer für die nächsten Jahre. Rentenansprüche erhält man wie üblich erst nach fünf Jahren Dienstzeit. Bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis können sie diese Dienstjahre bei der Rentenversicherung nachversichern lassen. Lukrativ ist dies in der Regel jedoch nicht. Ich will auf diese Punkte hier auch nicht weiter eingehen, dazu gibt es fachkundige Berater, die sie bei Bedarf konsultieren sollten. Mir geht es darum, Ihnen aufzuzeigen, wie schwierig es ist, diesen Beruf auch wieder los zu werden.

Als eine Lösungsmöglichkeit, dem Lehrermangel zu begegnen, wird genannt, die Lehrer die im Ruhestand sind, zu reaktivieren. Es mag durchaus ehemalige Lehrer geben, die in Ihrem Beruf sehr glücklich waren und sich so etwas vorstellen können. Es mag auch ehemalige Lehrer geben, die nach einer gewissen Zeit des Abstandes bereit wären, noch einige Stunden in der Schule zu arbeiten. Ich habe aber auch Lehrer kennen gelernt, die mir gesagt haben dass man sie hier (gemeint ist die Schule) nicht mehr wieder sehen wird. Nicht alle Schüler und nicht alle Klassen sind gleich und so manche Lehrkraft fühlt sich an die Belastungsgrenze gebracht. Nicht nur psychisch, auch körperlich wie zum Beispiel durch Hörverlust etc.. Und so manche Lehrkraft über 60 gibt auch zu, dass der Altersunterschied zu den Schülern zu einer Hürde wird und die Lebenswelt der Jugendlichen von heute für ihn fremd ist. Wenn man sich als Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft verändern will, dann schaut man in den Stellenanzeigen nach, setzt eine Bewerbung auf, und mit ein wenig Glück ist es möglich, in einer anderen Firma zu arbeiten. Bei einem verbeamteten Lehrer ist das nicht so einfach möglich. Abgesehen von Stellen beim staatlichen Schulamt, dem Studienseminar oder Stellen in der Schulleitung hat man eigentlich Vollzeit mit Schülern zu tun. Wenn der Lehrkraft diese Belastung zu groß wird, ist ein Wechsel in eine andere Laufbahn beim Land oft sehr schwierig und auch der Wechsel in einen Job in der freien Wirtschaft ist, wie bereits oben gezeigt, keine lohnenswerte oder einfache Sache. Oft bleibt nur der Weg in die Krankheit und die dauerhafte Dienstunfähigkeit. Schule ist ein sehr starres Gebilde. Karrieremöglichkeiten sind vorhanden, aber begrenzt.

Spricht man von Schule, dann spricht man auch von Lehrerweiterbildung und Digitalisierung im Unterricht. Immer wieder hört man von Geldern, die für die Digitalisierung an den Schulen bereit gestellt sind, aber nicht abgerufen werden. Es ist klar, dass der Ruf nach Digitalisierung nichts bringt, wenn nicht auch die Unterrichtskonzepte darauf abgestimmt sind oder der bürokratische Aufwand der Beantragung der dazu notwendigen Finanzmittel zu hoch erscheint. Und so bleibt es seit Jahren oft nur bei zaghaften Umsetzungen wie einen Internetanschluss für die Schulen, digitale Whiteboards, die den Unterricht mit Tafel und Kreide ersetzen sollen oder Unterrichtseinheiten in speziellen PC-Räumen. Durch Corona kam die Nutzung von geeigneten Internetplattformen für den Unterricht im Homeoffice vorübergehend hinzu. Nicht immer ist Digitalisierung die Lösung für alles. Wenn zum Beispiel der Strom ausfällt, dann nutzt einem ein digitales Whiteboard gar nichts. Und Rechner müssen auch mal gewartet werden, wenn sich da kein Lehrer findet, der diese Aufgabe mit übernimmt, dann sind die Geräte irgendwann nicht mehr einsetzbar. Und, wenn sich das Betriebsystem ändert, wird man technisch gezwungen, auch bei der Hardware und Software irgendwann nachzuziehen. Der Geldbedarf der Schulen steigt dadurch.

Quereinsteiger werden als Lösung des Problems „Lehrermangel“ schon seit einigen Jahrzehnten gesehen. Als Zusatz gilt dann immer: „pädagogische Eignung vorausgesetzt“. Um die fehlende pädagogische Ausbildung nachzuholen, werden diese vorgesehenen zukünftigen Lehrkräfte am Studienseminar bzw. an den Hochschulen in teilweise speziellen Programmen nachgeschult bzw. ausgebildet. Zuvor wird ihr jeweiliges Studienfach geprüft und bei entsprechender gleichwertiger Anerkennung kommen die Kräfte in das Referendariat an den Schulen, die sie später einsetzen möchten. Besonders gesucht sind Absolventen von MINT-Fächern. MINT ist die Abkürzung von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Der Bedarf an Lehrern ist in unserem Bundesland nicht überall gleich. Meist ist der Lehrermangel in Mittel- und Südhessen größer als in Nordhessen. Das kann auch daran liegen, dass das Lehrergehalt im Verhältnis zu dem dort möglichen Verdienst in anderen Berufen und den höheren Lebenshaltungskosten nicht attraktiv genug erscheint. Als Quereinsteiger sieht man zudem eine erniedrigte Vergütung in der Zeit des Referendariats, wenn man vorher gut verdient hat, nicht unbedingt als Erfolg an. Attraktiver wird der Beruf damit nicht. In manchen Bundesländern kommt es daher auch schon zu einem Umdenken. D. h. aber nicht, dass es wirklich anders wird. Den Vorteil, den Quereinsteiger haben, ist, dass sie bei einem erfolglosen Experiment „Schule“, durch ihren Studienabschluss und ihre bereits vorhandene Berufserfahrung eher wieder eine Stelle in der freien Wirtschaft finden können, im Gegensatz zu klassisch ausgebildeten und im Lehramt gescheiterten Lehrkräften.

Auch das Einstellungsverhalten, dass bei Behörden allgemein üblich ist, erscheint einem Außenstehenden meist ungewöhnlich. Da werden Bedarfe ermittelt und Planstellen geschaffen, und erst, wenn das erfüllt ist, ist eine Einstellung möglich. Wenn also eine Schule feststellt, dass in den nächsten Schuljahren zwei Lehrkräfte mit bestimmten Lehrfächern in den Ruhestand gehen, so heißt dies noch lange nicht, dass die Schule schon mal auf Vorrat nach entsprechendem Ersatz sucht und neue Lehrkräfte vorzeitig einstellt. Zu denken, ok, ich fange dann eben an einer anderen Schule an, die mir jetzt schon früher eine Einstellung anbietet und hinterher wechsele ich dann an meine Wunsch-Schule, kann zum Problem werden. Gespart wird an allen Ecken und Enden. Wer es in einem Unternehmen gewohnt ist, dass die Benutzung von Kopierern für dienstliche Zwecke kein Problem ist oder ein Stift zum Schreiben gestellt wird und die Dienstreise beim Arbeitgeber ohne Probleme abgerechnet werden kann, erlebt in der öffentlichen Schule allzu oft etwas anderes. Es wird sehr stark auf Eigeninitiative gesetzt und Opferbereitschaft. In manchen Schulen gibt es einen Förderverein, der die Kopierkosten für Kopien der Lehrkräfte, die sie für Schüler fertigen, in einem bestimmten Rahmen übernehmen. An anderen Schulen kann es dann wieder anders sein und man sammelt einen Betrag für Kopienerzeugnisse von den Schülern ein, auch, wenn eigentlich Lehrmittelfreiheit das Gebot der Stunde ist. Oder die Lehrer sollen das mit den Schülern selbst regeln. Eigentlich sollte man über solche Probleme heute nicht mehr reden müssen. Folien für den Overhead-Projektor gab es in der Vergangenheit, wie ich es erlebt habe,  in geringer Stückzahl beim Abteilungsleiter. Es gab Folien, die für den Kopierer geeignet waren und welche, die es nicht waren. Dann musste man noch aufpassen, dass man nicht die falsche Folie beim Kopieren erwischt hat, sonst war der Kopierer hin. Dieses Problem würde durch den Einsatz digitaler Projektoren sicher entfallen. Auch für Schülerprojekte muss die Lehrkraft sich um den Umfang und die Finanzierung Gedanken machen. Nicht alles kann der Förderverein übernehmen. In der Vergangenheit gab es Versuche, Schulen ein Budget zur Eigenverwaltung zuzuordnen.

Man hört immer wieder von Lehrkräften, die sich in einem Angestelltenverhältnis befinden und in den Ferien nicht weiterbeschäftigt werden. Sie sind dann arbeitslos in dieser Zeit und müssen darauf hoffen, im nächsten Schuljahr weiter beschäftigt zu werden. Diese Taktik spart dem Land zwar Geld, ist aber bestimmt keine Maßnahme, den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Zu glauben, dass man mit Geld allein das Problem des Lehrermangels lösen kann, ist aber auch eher fragwürdig. Natürlich gab es schon immer den Fall, dass in wirtschaftlich schwachen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit sich die Behörden mit ausreichend Personalmengen eindecken konnten. Solange es aber andere attraktive berufsbezogene Angebote gibt, ist der „run“ auf den öffentlichen Dienst nicht unbedingt groß, auch, wenn diese Stellen oft das Gefühl von Sicherheit geben. Die ungleiche Bezahlung der Lehrkräfte ist auch diskussionswürdig. Nicht nur beim Vergleich zwischen angestellten Lehrkräften und verbeamteten Lehrkräften sind unterschiedliche Bezahlungen anzutreffen, sondern auch beim Vergleich der unterschiedlichen Schulformen wie Grundschule, Haupt- und Realschule oder Gymnasium oder den Berufsschulen. Hinzu kommen noch Sonderschulformen. Einige Parteien fordern die gleiche Bezahlung aller Lehrer. Hierbei muss man anmerken, dass die unterschiedliche Bezahlung auch mit der Höherwertigkeit der Ausbildung zusammen hängt.

Ein Mathematiklehrer im Gymnasium hat in seinem Mathematikstudium auch tiefergehende mathematische Studien betrieben als ein Mathematiklehrer, der in der Grundschule eingesetzt wird. Ein Problem bei der gleichen Bezahlung könnte daher zu einem späteren Zeitpunkt sein, dass alle nur noch Grundschullehrer werden wollen, da sich ein höherer Aufwand für das Ziel des Gymnasiallehrers nicht finanziell lohnt. Man hat dann zwar mehr Geld für die Schule ausgegeben, aber das Ziel der Beseitigung des Lehrermangels wahrscheinlich langfristig nicht gelöst.

Dass das Thema „Schule“ grundlegend mit Politik verknüpft ist, leuchtet ein. Bereits die Stelle des Kultusministers ist ein politisches Amt, was von den regierenden Parteien durch Personen besetzt wird. Der politische Einfluss beherrscht im Grunde genommen das gesamte Schulsystem. Selbst die Besetzung einer neuen Schulleiterstelle ist von politischen Interessen begleitet. Und jede neue Regierung meint, man müsse im System „Schule“ irgendetwas verändern und somit den eigenen Fußabdruck hinterlassen. Vor Jahren geisterte durch die Presse, dass es in den Schulämtern so genannte „Schwarze Listen“ gäbe, wo man unliebsame oder aufmüpfige Lehrer aufgeführt hat. Es ist klar, dass so etwas natürlich dementiert wird. Aber es ist auch klar, welche Folgen dies für eine Lehrkraft hätte, wenn es eine solche Liste gäbe und sein Name stünde darauf. Die Lehrkraft hat das umzusetzen, was auch politisch gewollt ist. Die Unterrichtsinhalte sind durch den Lehrplan vorgegeben. Aber auch die Art und Weise, wie unterrichtet wird, bleibt hiervon nicht unverschont. So ist man zum Beispiel in der beruflichen Ausbildung an den Berufsschulen von der Unterrichtung in einzelnen Fächern übergegangen in den Lernfeldunterricht, in dem Inhalte aus den vorher einzelnen Fächern nun in Lernsituationen gemeinsam zur Anwendung kommen sollen. Am Ende soll dies der Kompetenzentwicklung des Auszubildenden dienen. Viele können sich noch gut an ihre Schulzeit erinnern. Vorne an der Tafel steht der unterrichtende Lehrer und schaut auf mehrere Reihen mit Schultischen, an denen die Schüler sitzen. Diese Situation nennt man Frontalunterricht. In der Lehrerausbildung im Referendariat ist der Frontalunterricht verpönt. Obwohl man ihn eigentlich überall antrifft, egal ob in der Uni-Vorlesung oder in betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen. Bevorzugt werden eher Unterrichtsformen, wie Gruppenunterricht, Stationenlernen und anderes. Wer in seinem Referendariat bei einem Unterrichtsbesuch Frontalunterricht machen möchte, hat bereits verloren. Es ist gut zu wissen, was die pädagogische Forschung gerade favorisiert. Die Nachbesprechung des Unterrichts mit dem Ausbilder vom Studienseminar besteht vor allem darin, den eigenen Unterricht zu reflektieren und zu überlegen, was man hätte besser machen können. Solch eine Unterrichtsnachbesprechung kann sogar länger dauern, als der eigentliche Unterricht. Eine auf Konfrontation und Rechtfertigung ausgerichtete Nachbesprechung ist nicht erwünscht. Es geht mehr um Einsichtsfähigkeit und die Annahme von Verbesserungs­vorschlägen. Zugegeben, für die zukünftigen Lehrer sind solche Gespräche auch mit einer psychischen Belastungssituation verbunden. Es soll Fälle gegeben haben, dass irgendwann nach diesen Gesprächen von dem Lehramtskandidaten der Entschluss gefasst wurde, das Berufsziel Lehrer nicht weiter zu verfolgen.

Ein bis jetzt noch nicht flächendeckend erreichtes politisches Ziel ist die Umgestaltung der öffentlichen Schulen in Ganztagsschulen. Hierbei sollen die Schüler bis zum Nachmittag in der Schule unterrichtet und betreut werden. Klar, dass dann eine Verpflegung mit Schulessen ebenso notwendig ist. Die Ideen laufen dann darauf hinaus, dass die Schüler ihre Hausaufgaben in betreuter Umgebung verrichten können und somit unbelastet nach Hause entlassen werden können. Klingt erst einmal gut und hilft Doppelverdienern dabei, ihre Kinder während ihrer Arbeitszeit versorgt zu wissen. Ob das mit der Hausaufgabenbetreuung wirklich so gut klappt, würde ich bezweifeln. In einigen Fällen mag das so sein, in anderen Fällen reicht das vielleicht nicht. Regelmäßig kommen solche Vorschläge aus der parteipolitischen roten Ecke. Es geht hierbei weniger um die Kinder selbst, als um das Familienbild an sich. Um in einer Ehe die finanzielle Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann zu verringern, und auch, um dem sozialen Abstieg durch Kinder entgegen zu wirken sowie dem Wirtschaftskreislauf zusätzliche Arbeitskräfte zuzuführen, soll nach deren Bild eine Frau berufstätig sein, auch wenn sie Kinder hat. Im Falle einer Scheidung wäre sie dadurch besser finanziell abgesichert und bei weniger gut Verdienenden lässt sich dadurch eine bessere finanzielle Basis schaffen, als bei Alleinverdienern. Auch den steuerlichen Vorteil des Ehegattensplittings könnte man dann leichter abschaffen. Zu diesem Zweck ist es nützlich, wenn die Kinder ganztags in der Schule sind. Dann hat die Frau keinen Grund, nicht oder nur halbtags arbeiten zu gehen. Um es klar auszudrücken, dieses Familienbild vertritt nicht jede Partei! Und bis heute hat die Abschaffung des steuerlichen Ehegattensplittings keine Mehrheit im Bundestag gefunden. Man kann Ganztagsschulen auch aus anderen Aspekten heraus sehen. Die Erziehung der Kinder wird ein Stück mehr in Richtung Schule verlagert. Kindern wird ein Stück selbstgestaltete Freizeit genommen. Die eigene Freizeitgestaltung und Spielen gehören zu einer natürlichen Entwicklung einfach dazu.

Es müssen auch zusätzliche Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, ob für den zusätzlichen Betreuungsaufwand weitere Lehrer benötigt werden? Wenn Ganztagsschulen zu einem höheren Bedarf an Lehrkräften führen, dann machen Ganztagsschulen in Zeiten des Lehrermangels keinen Sinn! Die zukünftigen Herausforderungen in der Schule werden wohl der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) sein und die Weiterbildung der Lehrer.

Das Thema „Schule“ ist äußerst vielfältig, wir haben bisher nur an der Oberfläche gekratzt. Wenn man in der nächsten Zeit nicht durch bestimmte Ereignisse, wie zum Beispiel Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, Menschen für den Schuldienst begeistern kann, wird man gezwungen sein, sich mit dem Problem des Lehrermangels tiefgründiger auseinanderzusetzen. Ich bin schon heute der Ansicht, dass man das Lehrerstudium, das Referendariat und auch Schule als Ganzes neu denken muss.

Peter Völker
Direktkandidat Wahlkreis 8 / Schwalm-Eder II
stv. KV-Sprecher
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